Tierschutz in Russland

Gesetzliche Grundlage des Tierschutzes

Bislang existiert in Russland trotz dahingehender Bestrebungen kein eigenes Tierschutzgesetz.

Einer wachsenden Tierschutzlobby und dem zunehmenden Druck nationaler und internationaler Tierschutzorganisationen ist aber seit dem Ende der neunziger Jahre eine geplante Sanktionierung von Tiermisshandlung in Form von wiederholt in der Duma eingebrachten Gesetzesentwürfen zu verdanken.

Alle diese Versuche scheiterten bislang.

Die Begründung der letzten Ablehnung im Frühjahr 2008 aus dem Büro des damaligen Präsidenten Putin:

Man bezweifele die Bedürftigkeit einer legislativen Regulierung der Thematik, da ja bereits ein ausreichender Schutz der Tiere in einschlägigen Gesetzen gewährleistet sei.

So in „Über die Fauna“- „Über das sanitäre epidemiologische Wohlergehen der Bevölkerung“- „Über die Veterinärmedizin“ und das Strafgesetzbuch der russischen Föderation.

Wie steht es mit dem geplanten Tierschutzgesetz?

Wie steht es mit dem geplanten Tierschutzgesetz?

Diesmal wollte aber Russlands Öffentlichkeit diese traurige Entwicklung nicht hinnehmen.

Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Wissenschaftler, Geistliche und Umweltexperten starteten einen erneuten Versuch, die Schaffung eines Tierschutzgesetzes voranzutreiben.

Wie die Nachrichtenagentur Ria Novosti am 22.07.08 berichtete, wandten sie sich in einem offenen Brief an den russischen Präsidenten Medwedew mit der Bitte, einen Gesetzesentwurf über den Umgang des Menschen mit Tieren anzunehmen.

Zitat:

„Gegenwärtig ist die akute Notwendigkeit herangereift, bei den Menschen einen zivilisierten Umgang mit Tieren zu kultivieren. Das ist nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine umweltbezogene und ethisch- pädagogische Aufgabe. Sollte die Gesellschaft herrenlose Tiere weiterhin vernichten, muss sie dann auf einen weiteren Schritt- die Vernichtung obdachloser Menschen- gefasst sein,“

so Michail Berulawa, Mitglied der Gesellschaftskammer und der russischen Akademie des Bildungswesens.

In dem Schreiben wird weiter darauf hingewiesen, dass die geltenden russischen Gesetze keine konkreten Bestimmungen enthalten, die die Quälerei herrenloser Tiere verbietet.

Die Haltungsbedingungen für Tiere in Zuchtfarmen seien nicht reglementiert.

Es gäbe kein Verbot brutaler Tötungsmethoden.

Die Autoren unterstreichen, dass sich die Fälle von Tierquälerei häufen und sich die Lage von Tieren in allen Lebensbereichen verschlechtere.

Die Bedeutung der Anerziehung eines humanen Umgangs mit Tieren bei der heranwachsenden Generation werde außer Acht gelassen.

Dies sei eine Voraussetzung für eine zunehmende Kriminalität unter Minderjährigen, heißt es.

Das Schreiben trägt mehr als 3000 Unterschriften russischer Bürger, so die Gesellschaftskammer. „

Zitatende

Es soll demnach ein Gesetz auf den Weg gebracht werden, dass den Tieren in ihren jeweiligen individuellen und biologischen Lebensräumen und Bedürfnissen gerecht werden soll.

Eine Behandlung der Tiere, die mit den Prinzipien der Moral und Humanität unvereinbar ist, verursacht auch moralische Schäden beim Menschen und ist von einer humanistischen Gesellschaft nicht hinnehmbar.

Inhalt des Gesetzesentwurfes ist die gesetzliche Regelung des Schutzes aller Tiere vor Misshandlung jedweder Art.

Anwendbar soll das Gesetz auf alle Tiere sein, so da wären neben Haus- und Wildtieren die Viehzucht, Fisch- und Pelztierzucht, Zoound Zirkustiere, Versuchstiere sowie die Nutztiere auf den Transporten und die Tiere, die in Ausstellungen, Sport und auf Bühnen der menschlichen Unterhaltung dienen müssen.

Im Falle der Misshandlung eines Tieres sollen sogar Eigentumsrechte hinter der Verpflichtung des Menschen zum Tierschutz zurücktreten.

Ebenso geregelt werden die Verwirklichung der staatlichen Regelung und Überwachung, die Kontrolle durch die Exekutive.

Es wird ein Mitspracherecht von Bürgern und nicht- kommerziellen Organisationen an Beschlüssen der Exekutive und lokaler Selbstverwaltung- als Kontrolle der Kontrolle- eingerichtet.

Die Anzahl der Straßentiere soll durch ein Kastrationsprogramm reguliert werden. ( Art.14 des GE des TSG der russischen Föderation ).

Art. 16 regelt die Euthanasie mit abschließend aufgezählten Tatbeständen.

Nur unter diesen genannten ganz engen Voraussetzungen darf eine Euthanasie stattfinden.

Unternehmerische Tätigkeiten , die mit der Nutzung von Tieren verbunden sind, unterliegen der Lizenzierung und damit weiterer Kontrolle.

Der russische Präsident Medwedew kam der Bitte nicht nach.

Der Gesetzentwurf erreichte die Duma nicht.

Eine Neuauflage ist für dieses Jahr geplant.

Der einzige Schutz der Tiere besteht derzeit über § 245 des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation „Grausamer Umgang mit Tieren“.

Was sagt das Strafgesetzbuch?

Was sagt das Strafgesetzbuch?

Art. 245 STGB RF Grausamer Umgang mit Tieren

Absatz 1

Der grausame Umgang mit Tieren, der deren Tod oder Verstümmelung nach sich gezogen hat, wird, wenn diese Tat aus

-rowdyhaften Beweggründen oder

-aus Gewinnsucht oder

-unter Anwendung sadistischer Methoden oder

-in Anwesenheit Minderjähriger begangen wurde,

mit Geldstrafe in Höhe von bis zu 80000 Rubel oder in Höhe des Arbeitsentgeltes oder eines sonstigen Einkommens des Verurteilten für die Zeit von bis zu 6 Monaten, mit Besserungsarbeit für die Dauer von bis zu 1 Jahr oder mit Arrest für die Dauer von bis zu 6 Monaten bestraft.

Absatz 2

regelt die Voraussetzungen und Folgen der Tat bei Begehung durch eine Personengruppe.

Art 245 STGB RF

bezieht sich auf das menschliche Verhalten und negative Moral gegenüber Haus- und Wildtieren.

Der objektive Tatbestand ist die grausame Behandlung gegenüber Tieren durch Handlungen und Unterlassung, zB extreme Vernachlässigung, Verwendung für nicht- wissenschaftliche Experimente, qualvolles Töten, Jagd mit inhumanen Methoden, systematische Gewalt oder Zufügung von physischen Schmerzen.

Taterfolg ist der Tod oder die Verstümmelung des Tieres.

Diese Handlungen sind strafbar, wenn sie aus

-rowdyhaften Beweggründen,

-aus Gewinnsucht oder

-unter Anwendung sadistischer Methoden oder

-in Anwesenheit von Minderjährigen ( d.h. Unter 14 J.) begangen sind.

Straffolge ist die Geldstrafe ( bis zu 80000 Rubel – entspricht etwa 1800 Euro ) , Besserungsarbeit bis zu 1 Jahr oder Arrest bis zu 6 Monaten.

Der subjektive Tatbestand verlangt direkten Vorsatz oder Eventualvorsatz. Der Schuldige ( jede Person über 16 Jahren ist schuldfähig ) erkennt, dass er ein Tier grausam behandelt, sieht seine Verletzung bzw Tod und lässt es bewusst zu oder nimmt es in Kauf.

Eine wichtige Rolle spielt das Motiv des Verbrechens. Hier verlangt das Gesetz „rowdyhafte Beweggründe“, alternativ Gewinnsucht.

Ersteres ist erfüllt, wenn den Handlungen keine logische Erklärung zugrunde liegt, sie scheinbar grundlos erfolgen.

Zweiteres liegt vor, wenn sich aus dem grausamen Umgang ein materielles Interesse ergibt.

Kommentierung und Begriffsdefinition, Quelle: Kommentar zum STGB der ru. Föd., Gross Media, 2007, Gromow und Iuraiut- Isdat, 2007, Lebedev)

Wie wird das Strafgesetzbuch im Tierschutz umgesetzt?

Wie wird das Strafgesetzbuch im Tierschutz umgesetzt?

Eine Umsetzung findet so gut wie nicht statt.

Strafanzeigen werden entweder nicht aufgenommen oder aufgrund mangelnden öffentlichen Interesses eingestellt.

Vollzugsdefizite sind die Folge.

Es wird deutlich, dass Art. 245 STGB RF keinen ausreichenden Schutz der Tiere vor menschlichen Entgleisungen bietet.

Dafür spricht neben der lediglich abstrakten undifferenzierten Begrifflichkeit des Wortlautes auch die Platzierung im Gesetzeskontext.

Art. 245 STGB steht im Abschnitt der Straftaten gegen die Gesundheit der Bevölkerung und öffentlichen Sicherheit und rangiert als letzte Norm gleich hinter Leichenfledderei.

Ein gesetzlicher Schutz allein um der Tiere willen ist nicht erkennbar.

Die Argumentation der Regierung eines vorhandenen, ausreichenden Schutzes für Tiere überzeugt daher nicht.

Zu unscharf und lückenhaft erscheinen Tatbestand und Rechtsfolgen.

Im Gegensatz dazu scheint die Straffolge bei voller Ausschöpfung geeignet, Abschreckungsfunktion zu entfalten.

Bei einem durchschnittlichen Nettoeinkommen der Russen von rund 13500 Rubel, also rund 315 Euro ( Quelle: Ria Novosti vom 29.01.2008) trifft die Geldstrafe in Höhe von bis zu 1800 Euro empfindlich.

Nur nützt die empfindlichste Strafe nichts, wenn es an der Strafverfolgung durch die Behörden mangelt.

Auch hier ist die Korruption ein schwerwiegendes Problem.

Zu oft bleiben eklatante Verstöße gegen Art. 245 STGB ungesühnt.

Es scheint, als habe man mit dem Art. 245 STGB lediglich einen „good will“ zeigen wollen, so etwa, als würde im Rahmen einer enummerativen Auflistung aller Verstöße gegen die Volksgesundheit und öffentlichen Sicherheit im 25. Kapitel des 9. Abschnittes noch ein knappes Zugeständnis zugunsten einer ewig nörgelnden Minderheit erfolgen.

Was ist zu erwarten und was zu ändern?

Was ist zu erwarten und was zu ändern?

Ob dieser Gesetzentwurf von 2008 irgendwann zur Rechtskraft erstarken wird, bleibt – wenn auch ungeduldigst – abzuwarten.

Zu hoffen allerdings bleibt mit allen Kräften ein baldiger normativer Schutz der Tiere in Russland, neugeboren aus einer Vergangenheit, die diesbezüglich nur als rückständig und reaktionär bezeichnet werden kann..

Änderungsbedarf gibt es in jeder Hinsicht.

Begonnen bei der konsequenten und von unabhängigen Organen kontrollierten Durchführung eines Kastrationsprogrammes und dessen Kostenüberwachung, der Transparenz und Kontrolle der ausgegebenen staatlichen Gelder, über die Abschaffung der Tötungsanstalten, Planung und zügige Durchführung der geplanten modernen Tierheime, diese wiederum geführt von kompetentem, geschultem Personal.

Ferner erforderlich ist das Verbot der Kettenhaltung und willkürlicher profitorientierter Massenzucht, unerlässlich die Aufklärung und Erziehung der Bevölkerung zu verantwortungsbewußtem und humanem Umgang mit den Tieren, strenge Sanktionierung von Behördennachlässigkeit bei mangelnder Verfolgung von Tiermisshandlung und Korruption.

Darüberhinaus gehört hierher der sofortige Stopp von Tötungen von Straßentiere durch Abschuss oder Vergiften, gleichgültig, ob diese nun behördlich angeordnet oder .durch Selbstjustizler erfolgt.

Hilfreich wären ferner die Errichtung von Standarddokumentationen für Tierheime und Zucht wie auch die Schaffung eines zentralen unabhängigen Tierschutz- Netzwerkes mit Experten ( Tierärzte, Biologen, Juristen ).

Übergeordnete Voraussetzung für all diese Neuerungen ist allerdings die Behebung eines altbekannten Problems:

Eindämmung der Korruption und die Möglichkeit freier Meinungsäußerung.

Solange Leid und Elend von Lebewesen in staatlicher „Obhut“ heimlich gefilmt werden muss und die Urheber bei Veröffentlichung um ihre körperliche Unversehrtheit bangen, solange wird auch ein eigenes Tierschutzgesetz in Russland die große Not der Straßenhunde nicht mindern.

Anmerkung der Verfasserin: Anlässlich der Recherchen zu diesem Bericht erhielt ich zahlreiches Bild- und Filmmaterial von Menschen aus Deutschland und Russland. Der Inhalt des Materials übersteigt alles an Grauen, was mir bislang bekannt war. Leider bin ich aus Rücksichtnahme auf die Urheber, die ihre Identität aus Angst vor Repressalien nicht preisgeben möchten, an der Veröffentlichung in diesem Bericht gehindert.

Bericht von:

Annelie Martin